Meine sehr persönliche Begegnung mit einem der Archetypen des göttlich weiblichen in der Silvesternacht 2021 hat mich demütig gemacht. Die dreifaltige Gestalt der großen Mutter, die bei den „Germanen“ als Frey, Frigg und Hel gegeneinander abgegrenzt werden kann verkörpert in ihren Erscheinungsformen gleichzeitig das Jahresrad und seinen auf- und absteigenden Rhythmus als auch das allgemeine Werden und Vergehen aller Dinge in der physischen Ebene unserer Welt.
Die Erfahrung, die ich machen durfte, war von einer sehr dunklen Natur, tief erdig und körperlich fast überwältigend. Ein postnataler Geburtsprozess – ein zerfallen und neu zusammengesetzt werden, ein aus der angenehmen Wärme vollkommener Dunkelheit ins harte, kalte Licht der gerade neugewordenen Welt geworfen werden, ein regelrechtes „durch die Mühle“ gehen. Dieses Motiv findet sich in vielerlei Formen in den Übergangs- und Einweihungsriten der traditionellen Schamanenvölker aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen. Symbolisch betrachtet verliert derjenige der durch diesen Prozess geht, seine bisherige Identität und wird zu „jemand anderem“, der einen ganz bestimmten Teil seiner selbst als „Pfand“ an jenem Ort hinterlässt, der eigentlich kein Ort wie wir es definieren, sondern ein Bewusstseinszustand ist, um dann ausgestattet mit der Leihgabe des „zwischen den Welten wandeln“ Könnens zurückzukehren. Das Bild des freiwilligen „Opfers“ und den darauffolgenden Schatz kennen wir aus der Heldenreise. Was geopfert wird, ist immer genau so groß wie der Gewinn des Helden am Ende der Geschichte.
Ein schönes Beispiel dazu findet sich in der Edda. Als Wodan eines seiner Augen opfert um aus Mimirs Brunnen, dem „Brunnen der Weisheit“ trinken zu dürfen oder in seinem vollendeten Selbstopfer an der Welteibe (…mitnichten eine Esche…) um sich den drei Nornen würdig zu erweisen die Runen sehen und verstehen zu können. Wie im Energieerhaltungssatz formuliert geht keine Energie verloren oder kann jemals hinzukommen. Sie wird zwar transformiert bleibt aber in ihrer Summe immer gleich. Näherungsweise könnte man also sagen, dass dieser wichtige Aspekt der Heldenreise für geistig-seelische, oft auch ins körperliche transzendierende Prozesse die kausale Entsprechung zum Energieerhaltungssatz der klassischen Physik ist.
In der zeitgenössischen „spirituellen Szene“, die sich in weiten Teilen leider alle Mühe gibt natürlich gewachsene und damit überaus komplexe Sachverhalte so stark zu geistigem Fastfood zu verdichten, dass ihr eigentlicher Ursprung kaum noch zu erkennen ist (Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel…), wird oft von „Lichtarbeit“ gesprochen und das Dunkle als Attribut des Bösen, des vollkommen ungeprüft vom Christentum übernommenen Widersachers eines personifizierten Gottes herabgewürdigt.
Alles uns näher verwandte Leben wächst im gedämpften Zwielicht einer Gebärmutter heran und obwohl auf der einen Seite jede Form von Bewusstsein vom „großen Licht“ emaniert, so geht es zunächst in die Dunkelheit, um dort heranzureifen. Dieser Sachverhalt war den Altvorderen wohl mehr als bewusst und wandelte allmählich durch das entstellte Bild, welches das von Männern dominierte Christentum vom weiblichen Prinzip heraufbeschwor, sein Gesicht. Die Angst des alten Patriarchats nicht allein aus sich heraus dazu fähig zu sein, neues Leben in diese Welt bringen zu können, nennen wir sie der Einfachheit halber einmal „Gebärneid“, spiegelt sich im Prozess der Entkoppelung von diesen existenziellen Prozessen der Natur nahezu perfekt.
Erst wenn beide Prinzipien, die man in diesem Kontext ohne weiteres noch um eine dritte Komponente, nämlich die des universellen Bewusstseins erweitern kann, sich vereinen entsteht etwas Neues. Eine weitere Dreieinigkeit die dann im Laufe der Jahrhunderte im Christentum zum Vater, zum Sohn und zum heiligen Geist geworden sein mag. Lediglich die Marienverehrung die wohl als heidnisches Überbleibsel, als archetypische Erinnerung an Gestalten wie zum Beispiel die der Allmutter Isis, bis heute vor allem im Kosmos des Katholizismus großen Anklang findet, erinnert natürlich moralisch bereinigt durch „die unbefleckte Empfängnis“, daran, dass an der fleischlichen Geburt jeder noch so lichtvollen Heilandsgestalt auch das Dunkle, das weiblich-archetypische beteiligt sein muss.
Es ist keine Nestbeschmutzung festzustellen, das jenes sich oft über das Dogma der Religionen rechtfertigende Patriarchat auch dem männlichen Kollektiv schlimmste Schäden zugefügt hat. Das aus Gründen der eigenen Machterhaltung unzählige junge Männer in sinnlose Kriege geschickt und möglichst früh in der Erziehung dafür gesorgt hat, dass echte Empathie und die Fähigkeit sich selbst und damit die direkte Umwelt in feinsten Facetten zu erfühlen verloren gehen. Ein tief empathischer Soldat, der mit allem um ihn herum in inniger Verbindung ist, ist vollkommen ungeeignet für den totalen Krieg. Ich bin der festen Überzeugung, dass ein wahrer Quantensprung der Evolution geschehen würde, wenn die Menschheit aufhören würde über alle möglichen Dinge herrschen zu wollen.
Die Angst vor dem Dunkel ist letzten Endes die Angst vor den eigenen Abgründen. Der ultimativ schreckliche Drache, der in jedem von uns wohnt, will nicht erschlagen oder niedergerungen, sondern gesehen und angenommen werden. Jeder noch so kleine Widerstand erschafft mehr vom Gleichen. Der Gang in die Verletzbarkeit erfordert die totale Hingabe. Die Annahme des Unausweichlichen ist normalerweise ein schmerzhafter, aber dafür umso heilsamerer Prozess – das weiß ich aus der Selbsterfahrung. Die Masken, die wir tragen, um den Anforderungen unseres Umfelds und damit auch den unseres eigenen konditionierten Selbst zu genügen, wiegen unfassbar schwer und werden doch aus der Gewohnheit heraus kaum wahrgenommen. Die psychomotorische Energie, die darin gebunden ist, ist so groß, dass wenn sie einmal freigesetzt, zu explosiven Durchbrüchen dessen führt was wir für möglich halten, wenn wir solche Prozesse noch niemals erfahren haben.
Jedes Potential hat das Bestreben zum Ausgleich, um so Gleichgewicht herzustellen.
Alle Bewegung im Kosmos folgt dieser Gesetzmäßigkeit, ob in der physischen Ebene oder der des Bewusstseins. Wie ein eingeschlossenes Trauma, welches einmal beleuchtet sich den Kanal der körperlichen Entladung sucht.
Durch das Durchleben der „dunklen Nacht der Seele“ wird die eigentliche „Lichtarbeit“ erst möglich. Nur im Dunkel können wir uns unserer eigenen Leuchtkraft bewusstwerden und so zu unserem Ursprung in Großartigkeit zurückfinden.
Das Leben belohnt die Mutigen also lasst uns mehr Dunkelheit wagen und vielleicht um einen Anfang zu machen einmal bei Neumond in den Wald gehen, zwischen den Bäumen stehen, den Geruch der vergehenden Blätter und Pilzgeflechte einatmen und ausgiebig in die Stille fühlen um dann am Ende, wenn die Sinne genügend durch den visuellen Reizentzug geschärft sind feststellen:
Das „Schrecklichste“ was uns dort in der heiligen Dunkelheit begegnen kann sind immer wir selbst und selbst dieser Aspekt, den wir am liebsten vor der ganzen Welt verbergen wollten will Heimat in uns finden weil er ein Teil des Ganzen ist.
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