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Von Reflexionen, tobenden Riesen, hungrigen Pferden und den Freuden eines Offenstallers


"Let it rain a day, a week, a year Let it rain a thousand years a day Thats the divine answer to all the shed tears Thats the cyclic flood well known by those who know One drop for every broken dream And one for every conceived plan“

Samael – Rain Blauer Himmel – ich fühle mich erleichtert. So ging es mir heute Morgen nach dem ersten Augenöffnen. Ich liege noch eine Weile mit Kopfkreisel da, stehe dann auf und gehe zum Fenster. Alles ist ruhig da draußen. Ich schnappe mir das T-Shirt, welches ich gestern Nacht aus Gründen der Übermüdung einfach vors Bett geworfen habe, ziehe es mir über und gehe durch unser Wohnzimmer, dann den Flur entlang hinüber zum Musikzimmer. Als ich es betrete streicht mir Auriel, unser jüngster Kater im glorreichen Dreiergespann der „roten Gang“, offensichtlich ziemlich gut gelaunt, schnurrend um die Beine. Gestern war seine Laune eher düster – kein Katzenwetter, viel zu nass, viel zu windig und überhaupt ziemlich bescheiden. Gefühlt mindestens alle zwei Minuten versuchte er sein Glück via Katzentür, die auf den überdachten Balkon führt, saß dann kurz wie überlegend da, um resigniert wieder den Rückzug durch ebendiese anzutreten. Beim Hereinkommen warf er uns die typisch vorwurfsvollen Blicke einer Katze zu, die nicht verstehen kann, dass ihre Menschen zwar so großartige Dinge tun können wie zum Beispiel Türen öffnen oder Katzenfutter aus der Schublade nehmen, aber eben, trotz ihrer Omnipotenz aus einer Katzenperspektive heraus, keinen Einfluss auf das Wetter haben. „Los Mensch – stell sofort das Wasser ab“, denke ich, noch halb im Nebel des Schlafes, bei mir als ich die Balkontür öffne, hinaustrete und nur mit T-Shirt und Boxershort bekleidet, die kalte und klare Morgenluft tief einatme. Die Vögel singen und die Schafe einer Nachbarin sind schon äußerst geschäftig dabei Gras in ihre Mäuler zu befördern. Die Energie des kollektiven Feldes wirkt „wie frisch gewaschen“, was kein Wunder ist. Michaela schreibt mir in diesem Moment, dass gestern 44 Liter Wasser pro Quadratmeter auf unser Fleckchen Erde gefallen sind. Wasser wirkt immer reinigend und das nicht nur auf der physischen Ebene. Ich bin momentan zuhause, ich habe mir eine Auszeit von der Arbeit genommen, auf der es die letzten paar Monate noch wesentlich wilder als sonst zuging. Mal runterkommen, in mich gehen, Ideen und Visionen durch den Leib lassen, wie ich mein Leben in Zukunft gestalten will. Wie alle Menschen liebe ich meine Komfortzone. Jedoch weiß ich: Wer darin verharrt, der stagniert. Ohne das weiter zu bewerten: Ich kenne einige Menschen, die es sich in ihrer persönlichen Hölle so bequem gemacht haben, dass diese sich für sie wie der Himmel auf Erden anfühlen mag. Nein, Monsieur Satre sie haben Unrecht – die Hölle, das sind nicht die Anderen, sondern wir selbst. Die kleinstmögliche „geschlossene Gesellschaft“ – Wir und das was wir uns erschufen mit unterschiedlich gemusterten Tapeten bezogen.

Veränderung ist immer gefährlich, weil dort unser gebundenes Potenzial lauert. Wer bin „ich“, wenn ich nicht mehr „ich“ bin? Das ist für Wissende natürlich Unfug, welcher der Kurzsichtigkeit der allzu menschlichen Perspektive geschuldet ist – Ich bin immer noch das große, unveränderliche „Ich“, auch dann, wenn das kleine, das veränderliche „Ich“ der gravitätischen Zeit – in jeder Sekunde jemand „Anderes“ simuliert. Ich falle aus meiner Gedankenspirale, mir ist erbärmlich kalt und aus der Küche höre ich unseren heiß geliebten Kaffeeautomaten meinen Namen rufen. Frühstück der Champions – als ich noch rauchte war das immer die gute Selbstgedrehte und eine dampfende Tasse schwarzen Kaffees – heute, als jemand der seine Tabaksucht überwunden hat, nur noch letzteres. Ich beginne dies hier zu schreiben, fülle nebenbei den Kaffee in mich ein und stelle fest, dass es jetzt Zeit ist nach unseren Pferden zu sehen – also unterbreche ich meine Tätigkeit und verschwinde im Bad, um mich koppelfertig umzuziehen.

Als ich aus der Kellertür trete, lacht die Sonne. Ich halte kurz inne und gleiche das Bild mit dem von gestern ab. Stockfinster die Nacht, der Wind wie die unerbittlich kalte Faust eines Eisriesen und ein regelrechter Regenvorhang der sich über alles wirft. Die Straße vor unserem Haus, die nun im Licht unseres Zentralgestirns noch etwas feucht glänzt, glich einem Bachbett, weil die in die Jahre gekommene Kanalisation nicht mit dem vielen Wasser zurechtkommt. Als ich und Michaela mit unserem mit Futtereimern beladenen Bollerwagen den Weg zur Koppel antraten, war ich nahezu in Sekunden derartig durchnässt, dass mir Wasser an der Hoseninnenseite herab in die Gummistiefel rann. Mein Ego wollte schon anfangen herumzujammern, wie unglaublich uncool das alles ist, als der Gedanke an ein Meme, welches einen Offenstaller zeigt der durch den strömenden Regen zu seinen Pferden stapft und dabei unablässig „Ich liebe mein Pony“ wiederholt, ein breites Grinsen auf mein Gesicht zauberte. Genauso ist es– ich liebe meine Ponies – sagte ich laut vor mich hin und musste lachen. Michaela ebenso. Als wir bei den Pferden ankamen, verteilte ich die Futtereimer an Zip und Mylady, während sich Michaela um Loisls Riesenportion kümmerte. Er braucht, vor allem im Winter, wesentlich mehr Masse, um sein Kampfgewicht zu halten – er ist eben ein echter Oldtimer. Loisls Gewohnheit sehr langsam und bedächtig zu essen und dabei zwischendurch immer wieder prüfend umherzuschauen, ob alles noch seinem Sinn für Ordnung entspricht, bringt einige Probleme mit sich. Seine beiden Stallgenossen vertilgen ihre Portion eher wie die Staubsauger und rücken ihm dann zu Leibe. Üblicherweise frisst er deswegen etwas abseits von ihnen hinter einer geschlossenen Zauntür, was wir ihm jedoch gestern der Wetterlage wegen nicht antun wollten. Ausnahmsweise durfte er deswegen im trockenen Stall fressen was gleichsam bedeutete, dass ich an seiner Seite Wache stehe und etwaige Störenfriede zur Ordnung rufe, während Michaela die restlichen angefallenen Arbeiten übernahm. Während ich dort stand, mit einer Gerte als Armverlängerung in der Hand und Mylady und Zip davon abhielt Loisl beim Fressen zu stören, tobte der Sturm um uns herum. Das Weidezelt, welches wir mit vollen Wasserkanistern beschwert hatten, erbebte unter seiner Gewalt was vor allem Zip, unserem Sensibelchen Probleme bereitete. Seine Angst war klar und deutlich zu spüren – selbst Loisl, der eigentlich in jeder Situation bisher vollkommen souverän und abgebrüht wirkte, ließ sich davon ein wenig anstecken. Der Regen nahm nochmal deutlich an Kraft zu und vor dem Stall bildeten sich kleine Stromschnellen die an uns vorbei, zwischen dem Vordach des Stalls und dem Zelt vorbeiflossen. Eine Weile standen wir so da, als der Himmel in südlicher Richtung, über dem Wald, plötzlich hell erleuchtet wurde – ein heftiges Wetterleuchten gefolgt von einem einzigen tiefen, durchdringenden Donnerschlag.


Donar wirft seinen Hammer dachte ich bei mir als der Schreck verflogen war. Thurisaz-Energie. Die Thurisaz Rune und ihre immense Kraft begleitet mich schon eine ganze Zeit. Sie symbolisiert den Dorn, der sich in ihrer Form abbildet, wahrscheinlich abgeleitet von einem Schilddorn, wie er zu Zeiten, als solche Dinge noch tiefgehender verstanden wurden als heutzutage Verwendung gefunden haben mag. Sie steht aber auch für die Kraft der Riesen und Donars Hammer, also Elektrizität, für das mit dem Rücken zur Wand stehen und eine durch starke Kompression entstandene, schlagartige, manchmal durchaus destruktive, von außen betrachtet scheinbar chaotische Expansion der Dinge, die einen Augenblick zuvor noch wohlgeordnet waren. Wenn ich ein Pferd bewege, ohne es in irgendeiner Weise zu berühren, ist es diese Art der Energie, die ich dafür verwende. Wohldosiert, natürlich aber zielgerichtet, bestimmt und fokussiert. Eine mehr oder minder schlagartige Expansion meines Bewusstseins in die erwünschte Bewegungsrichtung. Ein energetischer Raum berührt den anderen, genauso, wie wenn ich tatsächlich schieben würde. Es ist auch die Kraft welche fernöstliche Kampfsportler im Einklang mit ihrem physischen Körper verwenden, um die eigene Hand durch Ziegelsteine oder ähnliches zu bewegen. Auch im „Außen“ wird derzeit unsere ganze Welt von Riesenkräften durcheinandergeworfen und -gewürfelt. Überschwemmungen, Vulkanausbrüche, Erdbeben – natürliche, wie auch „politische“ und ihre globalen Auswirkungen. Der Flügelschlag des Schmetterlings am anderen Ende der Welt – Kausalketten über Kausalketten. Thurisaz-Zeit – alles ist in Bewegung – kein Stein bleibt auf dem Anderen. Folge ich diesen Gedanken weiter, wird mir klar, dass die menschliche Fähigkeit körperlich an dem einen Ort zu sein, während man in der eigenen Vorstellung an dem Anderen weilt – die Vorstufe echter Multidimensionalität und damit solch „übernatürlicher“ Fähigkeiten wie Remote Viewing, astraler Projektion und sogar physischer Bilokation ebenso eng mit der Thurisazkraft verbunden ist.

Sich diese Energie zu Nutze zu machen, erfordert Übung und Demut, aus falschem Antrieb heraus angewandt, wird sie unkontrollierbar und kann unter Umständen mehr schaden denn nützen.

Mit dem letzten Nachhall des Donners ließ der Regen etwas nach und auch der Wind, der zuvor noch heftig wütete, verlor etwas an Intensität – wir hatten das Schlimmste für heute überstanden. Des Sturmes Kraft hatte sich weitestgehend entladen und seine tatsächliche Wirkung wird erst im vollen Licht des nächsten Tages zu sehen sein. In diesem Moment ist es kurz vor Elf am Vormittag und ich bin nach dieser gedanklichen Bilderfahrt durch die vergangene Nacht wieder im Jetzt angekommen. Ich mache mich auf den Weg zu unserer Winterkoppel. Die Hauptstraße wirkt wie ausgestorben und über allem scheint, bis auf das Gesäusel eines leicht frischen Windes tiefer Frieden zu liegen. Als ich den Landwirtschaftsweg, der zum Eingang in unsere Grundstücke führt, entlang gehe frage ich mich, was denn gestern vom Antlitz dieser Erde gewaschen und geblasen wurde. Was ist es eigentlich, was jetzt an der Reihe ist von uns zu gehen? Ich sehe die Welt um mich herum als perfekten Spiegel meiner inneren Prozesse und ich weiß ebenso um den Umstand, dass alle Protagonisten und Antagonisten dieses grandiosen kosmischen Theaterstückes auf der höchsten Ebene meines Selbst, nur Iterationen desselben Fraktals sind, welches ich, durch das Erfahren der menschlichen Urwunde des Getrenntseins als meine Persönlichkeit wahrnehme. Also liegt es an mir loszulassen. Es geht von uns, was „ich“ bereit bin gehen zu lassen. Der Schatz am Ende der Reise ist immer genau so groß wie das erbrachte Opfer. Die Heldenreise als geistig-seelisches Pendant zum thermodynamischen Gesetz der Physik – keine Energie kann hinzugefügt oder weggenommen, lediglich in eine andere Erscheinungsform transformiert werden. Ich komme an, gehe zwischen unseren vielen Apfelbäumen hindurch und stelle fest: Die alten Bäume haben dem Sturm bis auf ein paar unbedeutende, kleinere Astbrüche ziemlich unbeeindruckt widerstanden. Ich gelange schließlich zu der Gittertür, die Obstplantage und Koppel voneinander trennt. Der Stall und das Zelt sind ebenfalls vollkommen intakt und noch genau dort, wo sie hingehören. Ich öffne bedächtig das Tor, gehe weiter und sehe Loisl und Mylady im Zelt an ihren Heunetzen stehen und kauen, während Zip sich gerade in der weichen Einstreu im Stall wälzt und zufriedene Grunzlaute von sich gibt, wie es seine Art ist, wenn er in die Entspannung kommt. Auch mir fällt ein Stein vom Herzen. Alle sind wohlauf, auch wenn der vordere Teil der Koppel ungefähr so aussieht wie ein von Kettenfahrzeugen zerwühlter Kriegsschauplatz. Wo gestern kleinere und größere Teiche entstanden sind, ist der Großteil des Wassers schon versickert. Höchstens ein paar besonders tiefe Huftritte sind noch gut mit Regenwasser gefüllt. Ich steige vorsichtig durch den Zaun und begrüße alle Pferde nacheinander, wie es bei uns Brauch ist, indem ich sanft meine Hand auf die weichen Pferdenasen lege, die ich so gerne mag.

Ich schaue mir ganz in Ruhe die Nachwehen des Sturms an, stelle mich dann unter unserem alten Kirschbaum in die Sonne und atme tief durch, als Mylady neben mir auftaucht, um mit mir gemeinsam über das Land hinweg zu schauen. Ich drehe mich zu ihr um und lege meine kalten Hände auf ihren warmen Rücken, um sie an ihr zu wärmen. Ich sage zu ihr, dass ich froh bin, dass wir diese Episode gemeinsam heil überstanden haben und dass jetzt bald bessere Zeiten auf uns zukommen werden, worauf sie kurz und knapp und auf den Punkt wie immer zu erwidern scheint: „Mensch, hast du je daran gezweifelt?“ und „Alles endet irgendwann“ – und ich stelle fest: Sie hat vollkommen recht – der Sturm, der Andere, der Große – auch er wird enden und dann wird es blauen Himmel und Vogelzwitschern geben. „Our seeds sown larger Our roots will go deeper Our trees will grow higher and now we wait the rain“ Samael - Rain

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